Auszüge aus Rezensionen zu dem Buch „Monika Seifert – Pädagogin der antiautoritären Erziehung“ von Wilma Aden-Grossmann

Michael Vester: Monika Seifert und die antiautoritäre Erziehungsbewegung [erscheint in: SLR – Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau. H. 70 (1/2015)][erscheint in: SLR – Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau. H. 70 (1/2015)] Wilma Aden-Grossmann: Monika Seifert. Pädagogin der antiautoritären Erziehung. Eine Biographie, Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel 2914, 187 S., 19,90 

Eine der nachhaltigsten Veränderungen, die die so genannten 1968er Bewegungen in der deutschen Gesellschaft ausgelöst haben, ist zweifellos von der antiautoritären Erziehungsbewegung ausgegangen. Gleichwohl ist dieses Thema in den vorliegenden Veröffentlichungen bis vor kurzem völlig unzureichend behandelt worden. … Ein wesentlicher Teil dieser Lücke ist nun durch die Biographie von Monika Seifert, der Hauptinitiatorin der antiautoritären Kinderladen- und Erziehungsbewegung, überzeugend geschlossen worden. Verfasst worden ist sie von Wilma Aden-Grossmann, langjährige Professorin für Sozialpädagogik in Kassel und einstige Mitbegründerin dieser Bewegung, die in den 1960er Jahren aus dem Frankfurter Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) hervorgegangen ist. Diese Herkunft ist dem Buch anzumerken. Es ist packend und ohne jede überflüssige Länge geschrieben und orientiert zusätzlich durch einen Bildteil und einen Personenindex.

Es verbindet die empirisch-praktische Seite gleichsam organisch mit der politisch-theoretischen Seite der antiautoritären Erziehung. Die problematischen Aspekte dieses praktischen Experiments werden ebenso wenig ausgeblendet wie ihr politisch-theoretischer Ursprung in der psychoanalytischen Charakterologie von Theodor Adorno, Else Frenkel-Brunswick und Wilhelm Reich. Diese war Faschismuskritik: Die Sozialisation der Kinder wurde als eine hochpolitische Praxis verstanden, weil in ihr – über die Praxis des alltäglichen Zusammenlebens und damit gerade ohne jede politische Indoktrination – die grundlegenden Weichen dafür gestellt werden, ob ein Mensch eine eher autoritäre, für rechte Politik mobilisierbare oder eine eher demokratische, für emanzipatorische Politik geeignete Grunddisposition entwickelt.

Wilma Aden-Grossmann nennt vor allem fünf nachhaltige Veränderungen, die die „antiautoritäre Erziehungsbewegung … in vielen Familien, Kindertagesstätten und Schulen beeinflusst hat“: Für die Mehrzahl der Eltern sind heute die Erziehungsziele nicht mehr Gehorsam und Unterordnung, sondern Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit der Kinder; entsprechend werden in den meisten pädagogischen Einrichtungen die Regeln des Zusammenlebens nicht mehr einseitig bestimmt, sondern ausgehandelt; die Geschlechterrollen werden differenzierter und weniger nach Stereotypen wahrgenommen; die pädagogischen Institutionen und Träger sind durch neue Formen (wie Krabbelgruppen) und neue Trägerformen (wie Elterninitiativen) ergänzt worden; schließlich werden diese Institutionen von fast allen nicht mehr als Konkurrenz der Erziehung in der Familie, sondern als notwendige und wertvolle Ergänzung geachtet und wurden in der Politik entsprechende neue Rechte, wie das Recht auf einen Kita-Platz durchgesetzt. (S. 153-155)

Die Autorin verschweigt nicht, dass demgegenüber im Mainstream auch wesentliche Elemente der antiautoritären Erziehung ausgeklammert wurden, insbesondere die Selbstbestimmung bzw. Selbstregulierung der Bedürfnisse. Dazu gehört auch die Notwendigkeit einer freien Sexualerziehung, für die – entgegen heutigen Unterstellungen – das Grundprinzip der antiautoritären Pädagogik, der Respekt vor der Autonomie der Kinder und der Schutz gegen Übergriffe von Erwachsenen, besonders wichtig ist. (S. 155) Gerade dieser Punkt, das Ziel der Selbstregulierung – und deren Fallstricke, steht, wie bei Monika Seifert selber, auch in diesem Buch im Mittelpunkt der geschichtlichen Darstellung.

Wie war eine so weitgehende, wenn auch nicht vollständige historische Wirkung einer einzelnen Person oder eines einzelnen Experiments auf einen Strukturwandel in der Gesellschaft möglich? Aus der Sicht, die im Mainstream wieder bestimmend ist, sind es die „Führer“ von „1968“ bzw. deren Ideen, die die „Massen“ bewegt haben. Es ist schon beklemmend zu sehen, wie wirkmächtig im journalistischen Feld, aber auch in manchen Teilen der Linken noch solche Erklärungen sind, die die Menschen nur als passive, führungsabhängige Objekte großer Führungspersönlichkeiten sehen können.

Eine alternative Erklärung bietet die amerikanische Historikerin Dagmar Herzog (2005, S. 200) an. Sie sieht die Entwicklung nicht als eine autoritäre Machenschaft, sondern als Anregung, eine Kettenreaktion, in der viele gesellschaftliche Kräfte zusammengewirkt haben. Die Kinderläden und vergleichbaren Experimente gehörten, wie sie schreibt, „zu den größten konkreten Errungenschaften von APO und Studentenbewegung, und obwohl die Zahl der begeistert theoretisierenden Aktivisten klein blieb, regten die mit der antiautoritären Kindererziehung zusammenhängenden Grundvorstellungen die Fantasie weiter Kreise der Achtundsechzigergeneration sowie viele Liberale aus der älteren Generation an. Die Bewegung veränderte nicht nur die in Kindergärten, sondern auch die in Grundschulen geübte Praxis in der Bundesrepublik und beeinflusste in zahllosen Familien das Eltern-Kind-Verhältnis.“

Die Kettenreaktion wurde, wie Wilma Aden-Grossmann anschaulich darstellt, von einem nur winzigen Funken ausgelöst, aber zur richtigen historischen Zeit: Die Gruppe der Aktivisten des Projekts war zu klein, ihre Konzeption zu unausgereift, ihre räumliche Ausstattung zu ärmlich und ihre Organisationsmacht gleich Null. Ihre große Resonanz in den Medien erreichte sie nicht durch ein eigenes Kommunikationsmanagement, sondern durch die überwertige, hasserfüllte öffentliche Reaktion der Vertreter der autoritären Kultur. Eine kleine Szene in einem Fernsehfilm von Gerhard Bott, in der zwei Kinder des Frankfurter Kindergartens auf einem kaputten Klavier herumtanzten, störte die herrschende symbolische Ordnung so, als wäre eine Kathedrale von Bilderstürmern in die Luft gejagt worden. (Die heutigen Zeiten eines sich nach außen unaufgeregt gebenden Konfliktmanagements waren noch weit entfernt.)

Der eigentliche Grund der Aufregung war nicht das Klavier selber, sondern die Präsenz einer riesigen Bewegung der jüngeren Generation, die seit den frühen sechziger Jahren auf Hunderttausende angewachsen war. Und diese war wiederum nur die Spitze eines grundlegenden Wandels in der Alltagskultur in der gesamten Gesellschaft. Die enorme Eskalation partizipatorischer Bewegungen war durch das Zusammenwirken von drei langfristigen Struktur- und Mentalitätsveränderungen möglich geworden, das erst ab Mitte der 1960er Jahre seine volle Wirkung entfaltete: die breite jugendkulturelle Revolte gegen die Hegemonie der konventionellen Alltagskultur; das Entstehen einer selbstbewussteren Arbeitnehmerschaft, die mehr Teilhabe an Bildung, Politik und Mitbestimmung im Betrieb verlangte und, seit der ‚Spiegel‘-Affäre, auch eine umfassende Lösung der liberalen Intelligenz und Öffentlichkeit von der autoritären Politik der regierenden CDU/CSU.

Mit der Bildungsexpansion gelangten auch viel mehr Frauen und Arbeitnehmerkinder an die Universitäten, die über die neue Wohngemeinschaftskultur in das Klima des antiautoritären Aufbruchs hineingerissen wurden. Bei ihrer Verwandlung in die Basis einer neuen Protest- und Alternativkultur, die sich gegen den Autoritarismus jeder Art richtete, spielten wiederum die Aktivisten der „neuen Linken“ im SDS eine aktivierende Rolle. Besonders von Frankfurt aus entwickelten diese das Konzept, über die persönlichen Erfahrungen auf die politischen und sozialen Ursachen der persönlichen Sorgen aufmerksam zu machen. Die Aktivisten des SDS und der befreundeten Arbeiterjugend-, Lehrlings-, Schüler- und Studierendenorganisationen wurden vor allem auf drei Handlungsfeldern aktiv: an der Basis in Universitäten und Schulen; in der Arbeiter- und Erwachsenenbildung, in der sie an den Erfahrungen, Bedürfnissen und Eigeninitiativen ansetzte; innerhalb der SPD, in der sie zusammen mit den Jungsozialisten am Aufbau eines “Arbeitnehmerflügels” oder “linken Flügels” mitwirkten.

Die antiautoritäre Mehrheitsströmung des SDS wurde zum Kern einer realen sozialen Bewegung mit vielfältigen öffentlichen Aktionen, Kampagnen und örtlichen Initiativen, die besonders durch die Grundsätze der Gewaltfreiheit und der basisdemokratischen Partizipation wachsende Popularität erreichten. Von ihr gingen nicht nur die Proteste gegen Atombewaffnung, Vietnamkrieg und Kolonialismus aus, sondern auch Kampagnen, die bei den Alltagserfahrungen der jüngeren Generation ansetzten. Frankfurter und andere Aktivisten initiierten nicht nur die ersten antiautoritären Kindergärten, sondern auch die Schüler- und Lehrlingsbewegungen, Sitzstreiks in Universitäten und auf Straßenbahnschienen, Besetzungen von Universitätsinstituten und leerstehenden Häusern und nicht zuletzt die Bewegungen gegen die autoritäre Sexualmoral in Elternhaus und Schulen – mit Riesenauflagen der Bücher von Reimut Reiche, Günter Amendt und Manfred Liebel/Franz Wellendorf – und gegen die Männerherrschaft im SDS selbst.

Die Gründung des ersten antiautoritären Kindergartens, die bald zahllose ähnliche Experimente in der ganzen Bundesrepublik und in Berlin anregte, war aber mehr als nur ein Teil dieser Initiativen. Monika Mitscherlich war, wie ihr späterer Mann Jürgen Seifert, auch eine zentrale politische Figur in dem Prozess, in dem sich der SDS von einer lammfrommen Nachwuchsorganisation des rechten SPD-Flügels in eine von diesem wie übrigens auch von den Kommunisten unabhängige Organisation entwickelte. Dazu gehört die kecke, völlig respektlose Diskussion, die Monika Mitscherlich 1959 vor allen Medien mit dem SED-Parteivorsitzenden Walter Ulbricht führte (S. 42f). Mindestens ebenso wichtig ist die Darstellung ihrer Rolle als Mentorin der SDS-Generationen ab 1960, die sie in fast tagtäglichen Gesprächen in ihrer Wohnung in Uni-Nähe zu der Wende vom Seminarmarxismus zur praktischen Bewegungsarbeit ermunterte und denen sie gleichzeitig den von ihr unter großen Vorsichtsmaßnahmen organisierten ersten Raubdruck, Wilhelm Reichs Charakteranalyse, in die Hand gab,

Als sie dann 1967, zusammen mit Jürgen Seifert und anderen Eltern, den Kindergarten gründete, war sie schon lange eine der wichtigsten Bezugspersonen und Gesprächspartnerinnen der neuen Bewegungsaktivisten, aber auch Verbindungsperson zu zahlreichen älteren Linkssozialisten wie Peter von Oertzen, Hans Matthöfer und Fritz Lamm. Dass der neuartige Kindergarten eine solche Initialwirkung entfaltete, hatte aber noch einen zusätzlichen Grund. Die Angehörigen der alternativen Milieus der Wohngemeinschaften (deren Angehörige laut amtlicher Statistik bis 1973 auf fast 70.000 anwuchsen) und der Aktivisten traten seit Mitte der 1960er Jahre zunehmend in die Lebensphase der Familiengründung und der Berufspraxis ein, letzteres ganz überwiegend in den gehobenen Dienstleistungen (Schulen, Hochschulen, Sozialarbeit, Therapeutik, Kultur, Medien, teilweise auch Technik, Medizin, Justiz, Theologie). Damit entstand das Bedürfnis, die eigenen Kinder freier zu erziehen, und der Anspruch einer kritisch-alternativen Berufspraxis, oft gewerkschaftlich und, nach der Auflösung des SDS über das Offenbacher „Sozialistische Büro“, mit eigenen Zeitschriften organisiert.

Dies erklärt nicht nur die Welle der Gründung alternativer Kinderläden, sondern auch die soziale und politische Unterstützung aus den Berufsgruppen. Diese konnten vielfältige pädagogische und institutionelle Reformen anregen und mittragen, besonders seitdem im Zuge des politischen Klimawandels, 1966 in NRW und 1969 auch im Bund, sozialliberale Regierungsmehrheiten die CDU-Herrschaft abgelöst hatten. Da dies auch auf den ohnehin voranschreitenden soziokulturellen Wertewandel in den Milieus – die Zunahme emanzipatorischer und partizipativer Habituszüge (Vester u.a. 2001) – zurückstrahlte, erhöhte sich der Druck in diese Richtung in den 1970er Jahren noch weiter. Gleichzeitig wurden die Konzepte des Frankfurter Pionierprojekts und der daran anschließenden und öffentlich geförderten „Glocksee-Schule“ in Hannover auch politisch wie in der professionellen Erziehungswissenschaft diskutiert.

In den Debatten ging es um das gleiche strukturelle Dilemma, das für alle historischen Pionierprojekte unvermeidbar gewesen war. Auch die Projekte der früheren sozialen Bewegungen (der Gewerkschaften, Genossenschaften, Hilfskassen und anderer Institutionen der Selbsthilfe) versuchten etwas, für das, weil es neu war, die nötigen Erfahrungen, Kompetenzen, Organisationsweisen und materiellen Mittel noch nicht ausreichten, sondern erst in mühseligen, konfliktreichen Lernprozessen erworben werden mussten.

Dabei war Monika Seifert für ihre Zeit bestens vorbereitet, biographisch wie fachlich. Aus der Kindheit bei ihrer Mutter, der bedeutenden Psychoanalytikerin Melitta Mitscherlich (die vom Vater, dem bekannten Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, getrennt war), brachte sie ein offenes, auf Körperlichkeit und Habitus ausgeweitetes Verständnis der Psychoanalyse mit – und, im eigenen Habitus, auch die selbstverständliche Selbstsicherheit, den Respekt vor der Autonomie anderer (und Andersartiger) und die unprätentiöse Zuwendungsfähigkeit, die den progressiven Teil der oberen Bildungsschicht auszeichnen. Das Durchstehen der Kinderlähmung, deren äußere Folgen unübersehbar blieben, stärkte diese fröhliche und ansteckende Zuversicht nur noch.

Was die Psychoanalyse zur Frühkindheit und zur Charakterbildung beitragen konnte, hatte Monika Seifert sich im Studium gründlich angeeignet und im Kontext des SDS kritisch gewendet, insbesondere mit Bezug auf Reichs Postulat der Selbstregulierung der Bedürfnisse durch die Kinder (S. 55ff). 1963 legte sie ihr soziologisches Diplom ab, mit einer Arbeit über die amerikanische Literatur zu Adornos „Authoritarian Personality“, der ich durch Mikrofilm-Recherchen in New York zugearbeitet hatte. Ihre Kenntnisse der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie und Pädagogik vertiefte sie 1966/67 durch ein Zweitstudium am renommierten Tavistock Institute in London. Sie war zu dieser Zeit bereits an Alexander S. Neills Buch über die nichtrepressive Internatsschule von Summerhill orientiert, deren weit verbreitete deutsche Übersetzung 1965 bei Szcesny auf ihre Anregung zurückging. In London lernte sie das für sie richtungsweisende, an Reich orientierte Konzept einer repressionsfreien Erziehung von Paul und Jean Ritter näher kennen, das übrigens durchaus auch Grenzen der kindlichen Selbstbestimmung – wenn diese destruktiv wird – markierte.

Wie ein Lehrstück liest sich dann in der Biographie die sehr gut recherchierte, ungeschminkte Darstellung des Frankfurter repressionsfreien Kindergartens, seiner Menschen und seiner vielfältigen praktischen Schwierigkeiten. Besonders wichtig waren die Auseinandersetzungen darüber, wie das Prinzip der Selbstregulierung in der pädagogischen Praxis umgesetzt werden konnte. Exemplarisch war der bekannte Konflikt mit den Eltern um ein Kind, das bestimmte mitgebrachte Spannungen immer wieder nur durch Beißen agieren konnte. Monika Seifert vertrat hier noch unerbittlich, dass die Ansprüche und Wünsche der Erwachsenen hinter denen der Kinder zurückstehen müssten, während sie später grundsätzlich mehr Verständnis für die Elternseite entwickelte.

Die offene Diskussion dieser Problematik ist eine besondere Stärke dieser Biographie. Um die vielen unerwartete Probleme der Praxis zu bewältigen, standen den Beteiligten kein Vorbild, keine praktisch-pädagogischen Erfahrungen und keine geeignete pädagogische Fachausbildung zur Verfügung (S. 113). Die Beteiligten standen erst am Anfang komplexer Lernprozesse. Dies galt gleichermaßen für alle Pädagogen, Eltern und Gründungsinitiativen, die (nicht nur in der Bundesrepublik) dem Beispiel einer nichtrepressiven Pädagogik nacheifern wollten. Das Thema dieser breiten und in vielen Milieus der Gesellschaft durchaus gelungenen praktischen Lernprozesse, für die es keine fertige Formel geben kann, ist bisher kaum aufgearbeitet.

Claudia Michels, Frankfurter Rundschau 2.5.2014

Die Autorin fächert an diesem Leben das familiär-soziale Gesellschaftsbild der Frankfurter Linken in den Jahrzehnten seit 1960 auf. Irgendwie war Monika immer dabei. Das Buch ist auch eine Geschichte der hiesigen Kinderladenbewegung geworden. Denn Monika Seifert hat in Frankfurt 1967 den allerersten Kindergarten mit „repressionsfreier Erziehung“ in ganz Deutschland gegründet, damals Kinderschule genannt. Kinder sollten nach ihren Worten „über sich selbst bestimmen (. . .) so weit, wie es möglich ist“. Sie wollte sie „nicht zähmen“, ihnen keine Grenzen setzen.

Elisabeth Abendroth (Frankfurt) in: Sozialismus, Heft 11, 2014, S. 64 f

Monika Seifert – „Mutter der antiautoritären Kinderläden“

Bock auf Lernen – kein Bock auf Konkurrenz und Verwertung!“ war auf Transparenten bei den Bildungsstreiks der letzten Jahre zu lesen. Das hätte die Frankfurter Soziologin und Therapeutin Monika Seifert (1932 – 2002) sicher gefreut. „Richtschnur der ‚technizistischen‘ Reform ist die gegenwärtige, primär an Leistung und bloßer Zweckrationalität orientierte Gesellschaft, nicht aber der realisierbare Zustand, in dem die Vorbereitung auf die Arbeit … zurückgedrängt werden kann zugunsten der Entfaltung der Fähigkeiten, das Leben selbst zu gestalten und zu einem erfüllten Leben zu machen.“ schrieb sie 1969 (zitiert bei W. A.-G. S.73).

Aber wer von den Heutigen kennt Monika Seifert? Ihre Arbeit bestand zeitlebens eher in ihrer Präsenz, im Zuhören, Überzeugen, im praktischen Realisieren erzieherischer und therapeutischer Neuerungen, die in der Rückschau durchaus revolutionär zu nennen sind, als im Schreiben. Ihre Veröffentlichungen sind verstreut und schwer zugänglich. Sie hatte nie einen Lehrstuhl an einer deutschen Hochschule. Gute Voraussetzungen fürs Vergessen, auch in der Linken.

 

Nun gibt es ein Buch, das uns die „Mutter der antiautoritären Kinderläden“ (Oskar Negt 1995) in Erinnerung ruft. Ihre frühe Mitstreiterin, die Sozialpädagogin Wilma Aden-Grossmann, zuletzt hervorgetreten mit einer Biographie ihres akademischen Lehrers Berthold Simonsohn (2007), hat Monika Seiferts Schriften zusammengetragen, sorgfältig gesichtet und klug zu ihrem ungewöhnlichen Leben in Beziehung gesetzt. Spannend erzählt die Autorin, wie das vaterlos aufgewachsene Mädchen durch eine Kinderlähmung für ihr Leben gezeichnet wird. ….. Seit den sechziger Jahren gilt Monika Seiferts Hauptinteresse dem Zusammenhang von gesellschaftlicher Repression und Aggression. … Monika Seiferts berufliches und politisches Leben „danach“, ihre Arbeit als Supervisorin und Lehrbeauftragte an den Universitäten Marburg und Kassel, die mit harten Bandagen geführte Auseinandersetzung um ihre letztlich gescheiterte Berufung auf eine Frankfurter Fachhochschulprofessur, ihre Arbeit als Familientherapeutin, ihre Erinnerungsarbeit in der Frankfurter Initiative 9. November streift Wilma Aden-Grossmann nur kurz. Diese Konzentration auf Monika Seiferts historischen Beitrag zu Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung macht das Buch zu einer zugleich unterhaltenden und erhellenden Lektüre.

Heike Westermann auf www.kitakram.de

„Das Buch beschreibt das Leben einer ungewöhnlichen und willensstarken Frau. … 1967 gründete Monika Seifert in Frankfurt am Main den bundesweit ersten repressionsfreien Kindergarten, die „Kinderschule“. Ihre dort praktizierte pädagogische Richtung war Vorbild für viele antiautoritäre Kinderläden. Leidenschaftlich kämpfte Monika Seifert für eine repressionsfreie Erziehung von Kindern in Familien, Kindergärten und Schulen. Sie setzte damit ganz neue Impulse, die von Befürwortern dankbar aufgegriffen und von „Gegnern“ aufs heftigste kritisiert wurden.

Wilma Aden-Grossmann lernte Monika Seifert in Frankfurt kennen, war später mit ihr befreundet. Diese enge Verbindung spürt man in dem Buch – vielleicht ist es diese Nähe der Autorin zu Monika Seifert, die das vorliegende Buch so lebendig und flüssig lesbar macht.
Frau Aden-Grossmann beschreibt sehr detailreich die verschiedenen Stationen von Monika Seifert und damit auch den Beginn und die Entwicklung der Kinderladenbewegung. Das Buch gibt die pädagogische Diskussion der damaligen Zeit wieder und zeigt darüber hinaus den normalen Alltag in der antiautoritären Kinderschule – mit allen Chancen und Schwierigkeiten. …“

Timm Kunstreich (Professor für Soziale Arbeit an der FH Buxtehude) in: Reviews: German Studies across the disciplines, S. 516 f

„… Die Biografie über Monika Seiferts Leben ist zugleich ein Bericht über die progessiven Potenzen bürgerlicher Lebensweise, über Respekt und uneingeschränktes Vertrauen in die Fähigkeiten der Subjekte/Kinder, ihr Leben zu meistern. … In Exkursen zu Wilhelm Reich (den Monika Seifert wieder entdeckte) und Alexander S. Neill, zu Seiferts Theorie der antiautoritären Erziehung (mit Bezug zur neuen Frauenbewegung) sowie in zahlreichen Bzügen zur politischen Positionierung Seiferts – Eintritt in die SPD und SDS, Rausschmiss aus der SPD – zur wissenschaftlichen Fundierung bei Horkheimer und Adorno und zu pädagogischen Perspektiven wird das zentrale Lebensthema Monika Seiferts herausgearbeitet: die Idee der menschlichen Selbstorganisation bzw. Selbstregulierung. …“

Bernd Hüttner in:

http://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-38246/13_Huettner_Seifert.pdf

... Im Buch wird in langen Passagen die Pionierzeit der progressiven und antiautoritären Pädagogik mit allen Höhen und konflikt-haften Tiefen nacherzählt und reflektiert. Die emeritierte Pädago- gikprofessorin Wilma Aden-Grossmann war eine Freundin und Generationsgenossin von Seifert, die sie von 1961 bis 1970 begleitete. Für die Zeit danach beziehungsweise bis Ende der 1970er, wo das Buch im Grunde abbricht, stützt sie sich auf andere Quellen, unter anderem graue Literatur und Interviews. Über das Leben und Wirken von Monika Seifert ab Anfang der 1980er Jahre erfährt die Leserin dagegen wenig. Aden-Grossmann möchte die Leistungen von Seifert würdigen und zur Aufarbeitung der ersten Phase der Kinderladenbewegung beitragen. Dies ist ihr unzweifelhaft gelungen. …