Prof. Dr. Wilma Aden-Grossmann: Über die Notwendigkeit von Schulsozialarbeit

Vortrag zum 10-jährigen Bestehen von Schulsozialarbeit an der Altkönigschule in Kronberg (April 2017)

Wir sind heute hier zusammengekommen, um das zehnjährige Jubiläum der Schul­sozialarbeit an der Altkönigsschule zu feiern. Es freut mich sehr, dass ich hier an der Altkönigsschule, an der meine beiden Kinder vor mehr als dreißig Jahren ihr Abitur gemacht haben, heute den Festvortrag halten darf. Dafür danke ich Ihnen. In meinem Vortrag werde ich der Frage nachgehen, warum Schulsozialarbeit im allgemeinen und eben auch an der Altkönigschule unverzichtbar ist.

Träger der Schulsozialarbeit an der Altkönigschule, einer kooperativen Gesamtschule, ist das Evangelische Dekanat Kronberg, somit ist sie eine eigenständige Einrichtung innerhalb der Schule. Das „RatHaus“ ist der Ort, an dem jeder Rat suchen kann. Seit 2007 haben die beiden Schulsozi­alarbeiter, der Diplomtheologe und Psychologe Mickey Wiese und der Diplomso­zialpädagoge Jakob Friedrichs, zahlreiche Schülerinnen und Schüler, Mütter und Väter sowie Lehrerinnen und Lehrer beraten. Viele Mädchen und Jungen haben sie über mehrere Jahre begleitet, sie in ihrer Entwicklung gefördert und unterstützt und auf diese Weise präventiv gearbeitet. Sie haben, um es mit einem Bild auszu­drücken, das Kind aufgefangen, damit es nicht in den Brunnen fällt.

Die Schule hat neben dem Bildungsauftrag, der ihr Hauptgeschäft ist, auch einen Erziehungsauftrag, aber sie hat nur sehr begrenzte personelle und zeitliche Mög­lichkeiten, diesem nachzukommen. Nach traditioneller Auffassung ist die Schule für die Bildung zuständig und die Familie soll durch ihre Erziehungsarbeit die notwendige Voraussetzung dafür schaffen, dass Kinder erfolgreich am Unterricht teilnehmen können. Für einen Teil der Familien trifft das auch heute noch zu.

Aber diese tradierte Arbeitsteilung entspricht in zunehmendem Maße nicht mehr den heutigen Gegebenheiten. Die früher bewährte Arbeitsteilung, mit der die Fa­milie erzog und die Schule bildete, funktioniert heutzutage schon bei 60 Prozent der Erstklässlern nicht mehr. Folglich muss der erzieherische Rahmen in der Schule gestärkt werden. Aus sehr unterschiedlichen Gründen (Alleinerziehend, beide Eltern voll berufstätig, Familien mit Migrationshinter­grund, Familien aus einem bildungsfernen Milieu) sind viele Familien nicht in der Lage, ihre Kinder z.B. bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Das sind vor allem Familien, die auf­grund ihrer Lebensumstände (z. B. Arbeitslosigkeit) ihren Kindern nicht den sta­bilen emotionalen Rahmen und die Fürsorge bieten können, die für deren Ent­wicklung notwendig sind. Diese Kinder haben nicht gefrühstückt, wenn sie in die Schule kommen; statt eines Pausenbrots kaufen sie sich am Kiosk einen Snack. Sie haben nicht alle für den Unterricht benötigten Bücher und Hefte dabei, weil sie den Stundenplan nicht beachtet haben und niemand ihnen dabei hilft, ihre Schulsachen in Ordnung zu halten. Die Folgen dieser mangelhaften Fürsorge und Erziehung sehen wir u.a. in schlechten Schulleistungen, Konzentrationsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten im Unterricht und Schulabsentismus (vgl. Hopf 2014).

Insbesondere bei verhaltensauffälligen Schülern stoßen Lehrerinnen und Lehrer an die Grenzen ihrer pädagogischen Möglichkeiten. Die erzieherischen Defizite dieser Kinder und Jugendlichen zeigen sich häufig im Unterricht, wo diese Kinder als „Störer“ auffallen und infolge dessen vom Unterricht ausgeschlossen werden, oder in besonders schwerwiegenden Fällen werden sie von der Schule verwiesen. Diese Maßnahmen verschaffen eine Entlastung und ermöglichen die störungsfreie Fortführung des Unterrichts. Der zeitweilige Ausschluss von der Teilnahme am Unterricht ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Jugendliche durch pädago­gisch-therapeutischer Hilfen, wie sie durch das RatHaus geboten werden, sein Verhalten ändert.

In Deutschland hängt wie keinem anderen Industriestaat der Bildungserfolg von der sozioökonomischen Herkunft des Kindes ab. Danach sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien mehrheitlich auch schulisch benachteiligt, wenn

1. ihre Eltern erwerbslos sind,

2. ihre Familien einem erhöhten Armutsrisiko unterliegen oder

3. sie in einer bildungsfernen Familie aufwachsen, in der beide Eltern keine abge­schlossene Schul- und/oder Berufsausbildung haben.

Knapp 30 Prozent aller Kinder wachsen in Familien auf, die von einer dieser Risi­kolagen betroffen sind. Demgegenüber ist der Anteil der Kinder, die von allen drei Risikolagen betroffen sind, deren Eltern also erwerbslos und armutsgefährdet und bildungsfern sind, mit 4 Prozent wesentlich geringer.

Kinder mit Migrationshintergrund wachsen häufiger in familiären Risikolagen auf als Kinder ohne ausländischen Wurzeln. Kinder mit Migrationshintergrund sind folglich die Verlierer im deutschen Bildungswesen, darunter vor allem die Gruppe muslimischer Schüler.

Eine ausgezeichnete qualitative Untersuchung über fromme Muslime in Wiesba­den hat die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter (2016) vorgelegt. Sie hat drei Jahre lang in Wiesbadener Moscheengemeinschaften geforscht und gibt in ih­rer Untersuchung einen umfassenden Einblick in das Leben und die Gedanken­welten strenggläubiger Muslime. Außerdem hat sie zahlreiche Gespräche mit Leh­rerinnen und Lehrern und mit Schülerinnen und Schülern an mehreren Wiesbade­ner Schulen geführt, die uns Aufschluss geben über die Integrationsprobleme an Schulen. Aus ihren Gesprächen mit Lehrern zieht sie folgendes Fazit:

Als Problem wurde überall die eingeschränkte Kommunikation mit den Eltern aufgrund sprachlicher Defizite geäußert. Vor allem die Mütter, die für die Erzie­hung primär verantwortlich seien, sprächen oft kein Deutsch. Sprachkurse wür­den nicht in ausreichende Umfang wahrgenommen – oft, so hörte ich immer wie­der, weil die Ehemänner dies verhinderten. Die Schulen seien daher auf profes­sionelle Übersetzer angewiesen, die bezahlt werden müssten. Gelder hierfür seien aber gestrichen worden, sodass man jetzt auf muttersprachliches Lehrpersonal oder ältere Geschwister zurückgreifen müsse. Dieser Zustand wurde als unbefrie­digend beurteilt“ (Schröter 2016, S.313).

Susanne Schröter stellte fest, dass es in der jungen Generation seit einigen Jahren eine verstärkte Hinwendung zur Religion gibt. Lehrer berichteten, dass sich jetzt mehr Schülerinnen verschleiern würden als noch vor wenigen Jahren. Vielen Ju­gendlichen ist ihre Religion wichtig und Schröter empfiehlt, dass man sich mit ih­nen auseinandersetzen soll „ respektvoll und anerkennend, aber dennoch nicht un­ter Verzicht auf die eigenen Werte“ (Schröter 2016, S. 314)

Mehrfach betont Schröter, wie wichtig die Jugendarbeit mit muslimischen Jungen und Mädchen ist, um sie vor einer Radikalisierung und ein Abgleiten in den Sala­fismus zu bewahren. Sie verweist darauf, dass radikale Vertreter des Islam unter Jugendlichen erfolgreich ihre Anhängerschaft einwerben und dass jihadistische Mobilisierung auch an Schulen stattfindet.

Hier stoßen Lehrer meist an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wohingegen Schul­sozialarbeiter über Ressourcen und Methoden verfügen, um hier helfend einzu­greifen. Ihre Methoden sind die Konfliktberatung, die Einzelfallhilfe, die Jugend- und Familienberatung sowie die sozialpädagogische Gruppenarbeit.

Im Unterschied zum formalen Lernsetting im Unterricht initiiert Schulsozialarbeit Bildungs- und Lernprozesse im Lebenszusammenhang der Schülerinnen und Schüler und nutzt die bildungswirksamen Potentiale ihrer Umwelt. Der Schulsozi­alarbeiter knüpft an die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen an, die sie in der Schule, der Familie und der Peer-Group machen und begleitet die Heranwach­senden oft über mehrere Jahre in schwierigen Lebensphasen.

Im Unterschied zur Schule ist Schulsozialarbeit keinem Lehrplan verpflichtet. Ihre Ziele sind allgemeiner Art wie z.B. die Stärkung des Selbstwertgefühls, der Team­fähigkeit, des Durchhaltevermögens, der Konzentrationsfähigkeit, der Kritikfähig­keit und der sozialen Kompetenzen.

Heranwachsende haben das Bedürfnis, ihre Schwierigkeiten mit den schulischen Anforderungen, ihre Probleme mit Mitschülern (Stichwort Mobbing), mit sich selbst und ihrer Familie mit einem Erwachsenen zu besprechen, der ihnen Aufmerk­samkeit schenkt, zuhört, keine Noten vergibt und mit ihnen im Gespräch Lösungswege erarbeitet. Herr Wiese und Herr Friedrichs orientieren sich an dem von Professorin Sigrid Tschöpe-Scheffler entwickelten „Fünf-Säulen-Modell für eine entwicklungsfördernde Er­ziehung“. Die Fünf Säulen sind: Liebe, Achtung, Kooperation, Struktur und Förderung.

Liebe und emotionale Wärme zeigt sich, wenn der Erwachsene sich dem Kind zuwendet und es in einer wohlwollenden Atmosphäre anhört und wahrnimmt.

Achtung und Respekt Hierbei ist wichtig, dass der Erwachsene die Individualität des Kindes anerkennt und wertschätzt.

Kooperation: Dabei geht es um das wechselseitige Verstehen. Erwachsene ver­treten ihren eigenen Standpunkt und hören sich die Meinung des Kindes an. Es wird in Entscheidungen einbezogen.

Struktur und Verbindlichkeit: Das bedeutet, dass die geltenden Regeln allen bekannt und einsichtig sind. Werden abgesprochene und begründete Regeln nicht eingehalten, hat das Konsequenzen, die nicht nur angedroht, sondern durchgeführt werden. Grenzen bedeuten nicht nur Verbote, sondern Orientierung und Klarheit.

Allseitige Förderung Der Erwachsene sorgt für eine Umgebung, die reich an An­regungen ist. Er ermöglicht dem Kind intellektuelle, sprachliche, motorische und sinnliche Erfahrungen zu machen. So lernt das Kind Welt- und Lebenszusammen­hänge kennen, und es eignet sich Kultur an.

Mit dieser pädagogischen Orientierung gelingt es Herrn Wiese und Herrn Friedrich bei den Heranwachsenden Vertrauen aufzubauen. Das ist die wichtigste Grundlage für eine nachhaltige Förderung von Kindern und Jugendlichen. Mickey Wiese und Jakob Fried­richs nennen in ihrem Bericht beispielhaft welche Probleme zur Sprache kommen. Das sind erwartungsgemäß schulische Probleme wie die Selbstorganisation beim Lernen, Streit mit Klassenkameraden und Mobbing. Kinder und Jugendliche thematisieren jedoch auch Probleme wie Familienstreitigkeiten, Trennung der Eltern, selbstverletzendes Ver­halten, Liebeskummer, Sexualität, Umgang mit Alkohol, Verstoß gegen Bewährungsauf­lagen,

In der neuen Pisa Studie vom April 2017 ging es zum ersten Mal nicht um die schulischen Leistungen, sondern um das Wohlbefinden von Neuntklässlern. Dazu wurden 10.000 Schüler im Alter von 15 Jahren befragt. Es ist fraglos ein sehr gu­tes Ergebnis, wenn 73 Prozent der 15jährigen sagen, dass sie sich in der Schule wohlfühlen, aber immerhin fast 20 Prozent klagen darüber, dass sie mehrmals im Monat gemobbt werden, also von seelischen oder körperlichen Misshandlungen durch Mitschüler betroffen sind. Mobbing betrifft Jungen deutlich häufiger als Mädchen, die vor allem unter Ausgrenzung leiden (FR, 20.4.2017). Dass Schüler andere Mitschüler ärgern, piesaken und verspotten ist nicht neu, aber das Ausmaß hat seit einigen Jahren eine andere Dimension bekommen. Von Hänseleien, Spott, Lästereien, Verbreitung von Gerüchten vor allem im Internet bis hin zu körperli­cher Gewalt durch Mitschüler ist nahezu jeder Fünfte Schüler betroffen. „Für manche“, schreiben die Autoren, „ist die Schule ein Ort der Qual“. Um hier Ver­änderungen zu bewirken, müssen die erzieherischen Möglichkeiten der Schule durch die Einstellung von Sozialpädagogen erweitert werden.

Dass das Mobbing ein ernst zunehmendes Phänomen ist, wissen Herr Friedrichs und Herr Wiese seit langem, aber dennoch ist es nützlich, dass die Ergebnisse der Studie das Ausmass und die Verbreitung dieses Phänomens sichtbar machen

Jugendliche und deren Eltern sind dankbar, dass Schulsozialarbeit als ein – wie es im Fachjargon heißt – niedrigschwelliges Angebot an der Schule existiert, auch für die Schu­le resultieren daraus Entlastung und Unterstützung.

Schulsozialarbeit genießt hier an der Schule ein großes Ansehen,dennoch muss um den Fortbestand dieser Einrichtung immer wieder gerungen werden, denn die finanzielle Ab­sicherung ist nicht gewährleistet. Damit ist das „RatHaus“ an der Altkönigschule leider kein Einzelfall. Werfen wir also im folgenden einen kurzen Blick auf der Geschichte und Entwicklung von Schulsozialarbeit.

In Hessen wurden die ersten Projekte von Schulsozialarbeit vor etwa 40 Jahren an zwei Gesamtschulen mit Unterstützung des Bundes und des Landes als Modell­versuche gegründet. In dieser Erprobungsphase wollte man herausfinden, ob Schulsozialarbeit ein geeignetes Instrument ist, um den gravierenden sozialen Pro­bleme, wie z.B. Vandalismus, Schulverweigerung und Verhaltensauffälligkeiten wirksam zu begegnen. Ich habe damals als Leiterin der wissenschaftlichen Beglei­tung des Projektes Schulsozialarbeit in der der Frankfurter Ernst-Reuter-Gesamt­schule verfolgen können, welche positiven Einflüsse Schulsozialarbeit hatte: Der Vandalismus, konnte reduziert werden, Pausen- und Freizeitangebote bereicherten den Alltag der Schülerinnen und Schüler und so manche Entwicklungskrise von Kindern und Jugendlichen wurde durch die Beratung von Schulsozialarbeitern er­folgreich bewältigt. Auch an der Gesamtschule in Kassel konnte Schulsozialarbeit ähnliche Erfolge vorweisen. Die wissenschaftlichen Begleituntersuchungen be­scheinigten der Schulsozialarbeit, dass sie die in sie gesetzten Hoffnungen weitge­hend erfüllt hatte. Enttäuschend für alle an den Modellversuchen Beteiligten war es, dass nach dem Ende der Modellversuche Schulsozialarbeit nicht ausgebaut, sondern durch den Wegfall der Bundesmittel Stellen gestrichen werden mussten. Folglich stagnierte die Entwicklung von Schulsozialarbeit in den 1980er Jahren.

Einen Aufschwung erlebte Schulsozialarbeit durch das 1990 verabschiedete Kin­der- und Jugendhilfegesetz, das erstmals ausdrücklich die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe forderte. Offen blieb weiterhin die Frage der Fi­nanzierung, so dass sich dieses Gesetz nur geringfügig auf die Praxis auswirkte. Trotz der unbefriedigenden Gesetzeslage ist seit der Jahrhundertwende eine dyna­mische Entwicklung zu verzeichnen. Es entstanden ungezählte Einrichtungen von Schulsozialarbeit in unterschiedlicher Trägerschaft, u.a. der Arbeiter­wohlfahrt, der Caritas, des Internationalen Bundes für Sozialarbeit, des Paritätischen Wohlfahrts­verbandes und weiterer örtlicher Träger und des Schulwesens.

Einen weiteren Schub zum Ausbau von Schulsozialarbeit bewirkte das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010. In diesem Urteil wurde kriti­siert, dass im deutschen Bildungswesen die Chancen ungleich verteilt sind und dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus armen Familien geringe Chancen auf einen höherwertigen Schulabschluss haben. Ausschlaggebend ist also nicht In­telligenz und Begabung, sondern die soziale Herkunft. Die Bundesregierung wur­de aufgefordert, der Benachteiligung dieser Kinder mit geeigneten Maßnahmen entgegenwirken.

Daraufhin wurde das „Bildungs- und Teilhabepaket“ befristet bis 2013 aufgelegt. Aus diesem Programm hat Schulsozialarbeit die Summe von 400 Millionen Euro erhalten. Man schätzt, dass aus diesemProgramm mehrere tausend Stellen fi­nanziert wurden. Derzeit gibt es an allen Schulformen schätzungsweise 10.000 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern.

Neue Aufgaben kommen auf die Schulen zu durch die Aufnahme von Flüchtlin­gen. Nach Berechnungen des Bildungsberichtes 2016 müssen in den kommenden Jahren in den Grundschulen und im Sekundarbereich I zusätzlich 90.000 bis 120.000 Flüchtlingskinder beschult werden. Dafür benötigt man an den Grund­schulen schätzungsweise 5.000 und im Sekundarbereich I etwa 8.000 zusätzliche Lehrerstellen. Zudem werden Integrationsbegleiter benötigt wie z. B. Schulsozial­arbeiter. Der Bildungsbericht der Bundesregierung von 2016, dem ich diese Zah­len entnommen habe, rechnet damit, dass hierfür 600 bis 800 neue Stellen für Schulsozialarbeiter gebraucht werden. (Bildungsbericht 2016, S. 200). Man darf gespannt sein, ob die Politik die hierfür benötigten Mittel in ausreichendem Maß bereitstellen wird.

Nachdem 2013 das Bundesgesetz ausgelaufen war, haben einige Bundesländer in ihren Haushalten Mittel für die Weiterführung von Schulsozialarbeit eingestellt.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat ein Förderprogramm mit einem Gesamtvolumen von 48 Millionen aufgelegt, um die Weiterfinanzierung von Schulsozialarbeit zu gewährleisten. Es erstreckt sich über drei Jahre, von 2015 bis 2017. Aus diesem Topf werden 70 Prozent der Personalkosten bezahlt. 30 Prozent übernehmen die Kommunen.

Baden-Württemberg: Von 2012 bis 2014 – neuere Zahlen liegen mir leider nicht vor – stellte die grün-rote Landesregierung 55 Millionen Euro bereit. Schulsozialarbeit wird in jedem Stadt- und Landkreis an mehr als 2.600 öffentlichen Schulen angeboten. Damit stieg die Anzahl der vom Land geförderten Beschäftigten innerhalb von zwei Jahren von 1.286 auf 1.807 Beschäftigte.

Rheinland-Pfalz fördert 165,5 Personalstellen an 227 allgemeinbildenden Schulen, wofür 2014/15 jährlich 5,6 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

Schleswig-Holstein unterstützt die Kommunen seit 2011 bei der Finanzierung von Schulsozialarbeit. Im Landeshaushalt 2014 sind dafür 4,6 Millionen Euro eingeplant.

Hessen: Seit den 1970er Jahren bis 2015 hat das Land Hessen sieben Projekte Schulsozialarbeit mit jährlich etwa 400.000 Euro gefördert. Seit 2015 wurde die direkte Förderung Seiten des Landes eingestellt. (Lauerer 2015, S. 32)

Um gegen die Streichung der Mittel zu protestieren, haben Prof. Dr. Gerd Iben und ich im Januar 2015 eine Petition auf der Internetplattform openPetition veröffentlicht. In einem offenen Brief an den hessischen Kultusminister protestier­ten wir gegen die Verlagerung der Landesmittel zur Förderung von Schulsozialar­beit und gegen den Rückzug des Landes aus der Verantwortung und forderten einen flächendeckenden Ausbau von Schulsozialarbeit.

Unserer Aufforderung, diese Petition zu unterstützen, sind insgesamt 12.118 Per­sonen, davon 9.772 aus Hessen gefolgt. Die Unterstützer der Petition kamen aus allen Teilen Hessens, aus den Landkreisen (z. B. Schwalm-Eder-Kreis 619, Darm­stadt-Dieburg 439) ebenso wie aus den Großstädten (Kassel 802, Frankfurt 3005). Die Unterzeichner waren Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiter, Schulsozialarbei­ter, Landeselternbeiräte, Schulelternbeiräte und Eltern, Psychotherapeuten und ei­nige Schüler, vor allem also Menschen, die selbst Erfahrungen mit Schulsozialar­beit hatten.

Ferner begrüßten die folgenden Organisationen die Petition und empfahlen ihren Mitgliedern, sie zu unterschreiben:

  • die Bundesarbeitsgemeinschaft katholischer Jugendsozialarbeit (BAKJ),
  • die Arbeiterwohlfahrt (Bezirksverbände Hessen-Süd und Hessen-Nord, Kreisverband Frankfurt),
  • der Landesverband Hessen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
  • die Gewerkschaft verdi (Landesverband Hessen),
  • die Landtagsfraktion der SPD und
  • etwa 60 Hochschullehrer von Universitäten und Fachhochschulen aus ganz Deutschland

Schätzungsweise tausend Unterstützer der Petition haben in ihren Kommentaren begründet, warum sie die Petition unterschrieben haben. Sie verweisen auf ihre positiven Erfahrungen mit Schulsozialarbeit als Lehrer, Schulleiter, Eltern, Schul­sozialarbeiter, Psychotherapeuten und Wissenschaftler. Sie kritisieren scharf, dass in Hessen Schulsozialarbeit vielfach nur in Projektform mit ungesicherter Fi­nanzierung realisiert wird, wodurch viele Schulsozialarbeiter befristet und auf Teilzeitstellen beschäftigt werden.

Einhellig forderten die Kommentatoren einen flächendeckenden Ausbau von Schulsozialarbeit mit den folgenden Begründungen,

  • weil Schulsozialarbeit mit vergleichsweise geringen finanziellen und per­sonellen Mitteln effektive Präventionsarbeit leistet,
  • weil sie Schülerinnen und Schülern bei akuten Krisen einen niedrigschwel­ligen und unbürokratischen Zugang zum Beratungsangebot bietet,
  • weil Schulen und Lehrer neue Aufgaben wie z. B. Inklusion und Förde­rung von Flüchtlingskindern besser mit Unterstützung von Schulsozialar­beit bewältigen können,
  • weil Lehrer keine sozialpädagogische Ausbildung haben, weshalb sie von der Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeit auch für ihren Unterricht profi­tieren.
  • weil es Lehrern an Zeit mangelt, Konflikte oder Probleme in der Klasse zu lösen,
  • weil es mit Hilfe von Schulsozialarbeit gelingt, die Quote der Schulabbre­cher zu verringern,
  • weil Schulsozialarbeit wirksam berufsvorbereitend tätig ist und den Über­gang Schule – Beruf erfolgreich begleitet,
  • weil Schulsozialarbeit bei Gefährdung des Kindeswohls oft als die erste Instanz in der Lage ist, helfend einzugreifen,
  • weil durch Schulsozialarbeit das soziale Klima an der Schule sich ent­scheidend verbessert wird.

Gegenwärtig ist die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes geplant, und dabei setzen sich alle Wohlfahrtsverbände wie auch die Gewerkschaften dafür ein, Schulsozialar­beit im Gesetz zu verankern. Ich hoffe sehr, dass deren Bemühungen erfolgreich sind und dass es damit auch gelingt, Schulsozialarbeit in Hessen finanziell abzusichern, damit auch an der Altkönigschule die Schulsozialarbeit weiterhin zum Nutzen von Schülern erfolgreich tätig sein kann.